Es war einmal ein kleines Schaf. Es lebte mitten in einer großen Herde auf einer grünen, saftigen Wiese. Oft wurde die Schafherde von den wärmenden Strahlen der Morgensonne geweckt. Tagein, tagaus grasten die Schafe gemeinsam auf der Wiese. Nachts unter klarem Sternenhimmel kuschelten sie sich eng zusammen. Albert, so hieß das kleine Schaf, fühlte sich in seiner Schafherde meistens wohl und behütet.
Jeden Morgen machte sich Albert mit seiner Herde auf den Weg um einen neuen Fleck mit frischem Gras zu finden. Da ging es dann gemeinsam in die gleiche Richtung. Manchmal waren sich die Schafe nicht ganz einig und waren etwas bockig und stur, aber noch nie hatte sich eines der Schafe von der Herde abgewandt und war seinen eigenen Weg gegangen.
Öfters ärgerte sich Albert darüber sich immer nach den Entscheidungen des herdenältesten Schafbockes richten zu müssen. Manchmal stelle er dann einer dieser Entscheidungen in Frage, was ihm aber oft nur Unmut und Unverständnis vieler Schafe entgegenbrachte. Sie fanden Alberts Verhalten unmöglich und meinten, dass einer sagen müsse, wo es lang geht und die anderen hätten sich einfach daran zu halten. Diese Schafe waren froh, selbst keine Entscheidungen treffen zu müssen. Sie versteckten sich nur allzu gern hinter dem Deckmantel der Allgemeinheit und fühlten sich nur gemeinsam stark. Andere Schafe bewunderten Alberts Mut seine Meinung zu äußern und nicht alles als gegeben hinzunehmen.
Albert trottete der Herde oft einfach nur hinterher und überlegte, was wohl wäre, wenn er diese Gemeinschaft verlassen und seine eigenen Wünsche und Träume verwirklichen würde. Die Herde gab ihm zwar Sicherheit, Schutz und Geborgenheit, aber ließ ihm oft wenig persönlichen Freiraum. In der Herde musste er sich anpassen, das Wohl der Allgemeinheit stand an oberster Stelle. Manchmal wollte Albert aber einfach auf die Stimme seines Herzens hören und seinen Sehnsüchten und Träumen nachgehen. Er wurde immer stiller, zog sich immer mehr zurück und hing seinen Gedanken nach.
Eines Tages passierte es, dass Albert vor lauter Grübeln die Herde verlor. Plötzlich stand er mutterseelenallein auf der großen Wiese. Kein anderes Schaf war weit und breit mehr zu sehen. Albert war fast ein bisschen erschrocken über die unerwartete Stille rings um ihn herum. Kein Meckern und Blöken war zu hören. Keiner der ihm in den Ohren lag, er möge doch schneller laufen. So beschloss Albert sich eine Pause zu gönnen und ließ sich unter einem schattenspendenden Apfelbaum nieder. Nicht unweit vom Apfelbaum entfernt, führte eine schmale Straße vorbei. Albert war gerade etwas eingenickt, als ihn jemand sanft anstupste. „Hallo! Was macht ein einzelnes Schaf hier unter dem Apfelbaum!? Ihr seid doch sonst nur in einer Herde anzutreffen. Hast du deine Familie verloren?“, wollte sein Gegenüber wissen. „Ja, das habe ich!“, sagte Albert und etwas gekränkt fügte er hinzu: „Aber ich bin alleine auch wer!“ „Oh, das habe ich gar nicht anzuzweifeln gewagt. Ich habe mich lediglich gewundert, warum ein Schaf einsam unter einem Apfelbaum liegt.“, meinte die fürsorgliche Stute. „Das ist zwar lieb von dir, aber ich bin nur alleine und keineswegs einsam.“, erwiderte Albert. „Ja, du hast recht, zwischen einsam und allein sein ist ein großer Unterschied. Ich sehe, dass es dir an nichts fehlt und kann deinen Wunsch nach etwas allein sein verstehen, da du ja sonst in einer Herde lebst. Ich wünsche dir alles Gute!“, sprach die Stute und galoppierte davon.
Albert wurde neugierig. Wo würde ihn die Straße hinführen? So machte er sich auf den Weg. Er hatte immer davon geträumt, die Welt zu entdecken und nicht nur auf einer grünen Wiese zu grasen. Er wollte mehr vom Leben und nicht nur ein Schaf von vielen in einer Herde sein. Auf seiner Entdeckungsreise kam er an bunten Blumenwiesen, Wäldern und Feldern vorbei. Immer wieder machte er neue, interessante Bekanntschaften, die ihn ein Stück seines Weges begleiteten. Auch das Leben in der Großstadt lernte er kennen. Das rege und manchmal hektische Treiben war ihm bis jetzt fremd gewesen. Albert hatte schon viel gesehen und erlebt. Nicht in seinen kühnsten Träumen hatte er sich vorgestellt, dass ihm durch die Welt zu bummeln so viel Freude und Spaß bereiten würde. Aber gerade nachts dachte er oft an seine Herde und sehnte sich nach den anderen Schafen. Vom Großstadtleben hatte Albert nun genug gesehen und er entschied wieder in die ländliche Gegend zurückzukehren. Als er so entlang der steinigen Straße dahin spazierte, wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Seine Ohren vernahmen „Schafgemecker“ … Erfreut hob er den Kopf und die Überraschung war groß – es war seine Herde. Die Schafe freuten sich ihren verloren gegangenen Albert wieder unter sich zu haben. Und auch Albert spürte, wie sein Herz über das Wiedersehen mit seiner Herde einen Freudensprung machte. Er merkte, dass es schön war wieder zu seinen Wurzeln zurückkehren zu können und dass es aber auch wichtig war seine eigenen Wünsche und Träume leben zu können.
Ich wünsche euch, dass ihr die richtige Mischung zwischen Gemeinschaft und Einzigartigkeit findet. Den Mut, eure Meinung zu äußeren und vielleicht damit auch mal gegen den Strom zu schwimmen, wünsche ich euch. Ein soziales Netzwerk möge euch Schutz und Sicherheit geben, dabei soll aber genügend Freiraum für Individualität, eigene Wünsche und Träume bleiben. Möge euch das Gleichgewicht zwischen sich Anpassen und der eigenen Selbstverwirklichung gelingen.
Herzlichst Cornelia
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