Foto: Pixabay

Die kleine Elfe räkelte und streckte sich bevor sie mit einem zarten Flügelschlag ihr Nachtlager verließ. Sie öffnete die Haustüre, um die frische Morgenluft hereinzulassen. Die Tautropfen glänzten in der frühen Morgensonne und eine sanfte Brise der herben Waldluft strich ihr über das Gesicht. „Was war das für ein wundervoller Start in den neuen Morgen!“, dachte die kleine Elfe.

Ihre einfache Wohnung befand sich in einem Hohlraum einer alten Eiche – ganz unscheinbar und für den Rest der Welt unentdeckt. Im Ast- und Blattwerk der alten Eiche hatte es sich auch eine junge Vogelfamilie bequem gemacht, sich dort niedergelassen und ihr Nest gebaut. Die Vogeljungen waren bereits wach und gaben mit lautem Gezwitscher und Radau bekannt, dass sie hungrig waren. Die Vogeleltern waren beschäftigt genug Würmer und Larven herbeizubringen, um die hungrigen Mäuler zu stopfen. Die kleine Elfe fand dieses rege Treiben sehr interessant und aufregend. Zugleich wusste sie aber, dass irgendwann wieder Ruhe einkehren würde, weil die Vögel das Fliegen erlernen und das Nest verlassen würden …

Jeden Morgen erfüllte dies alles das Herz der Elfe mit Freude und Dankbarkeit. Sie wollte noch in Ruhe ihr Frühstück genießen und dann ihren Freund, den Igel, besuchen. Auf dem Weg dorthin pflückte sie noch ein paar Pilze und sammelte eine Handvoll Walderdbeeren. Sie wusste, dass sie ihrem Freund damit eine Freude machen würde. Eigentlich war ihr Freund ja nachtaktiv, aber er litt seit geraumer Zeit unter schweren Schlafstörungen. Deshalb besuchte ihn die kleine Elfe gerne zu dieser frühen Morgenstunde, um ihn nicht zu wecken, falls er später dann doch in den Schlaf fand. Vorsichtig klopfte sie an die Türe seines Unterschlupfes und kurz darauf wurde diese auch geöffnet … Müde und traurig sah der Igel aus. Er begrüßte die Elfe kurz und gab ihr zu erkennen, dass er noch die Neuigkeiten aus dem Radio fertig hören wollte. Die Elfe flog mit ihrem Korb in der Hand in die Unterkunft ihres Freundes und nahm auf einem Sessel Platz. Sie lauschte ebenfalls der Stimme aus dem Radio. Da war von einem schweren Unfall die Rede, bei dem eine Igelmutter ihr Leben verlor. Man sprach von einer Flüchtlingswelle, die das Land überrollen würde, von einer steigenden Arbeitslosigkeit  und von einem sinkenden Lebensstandard. Dann kam der Radiosprecher zum Wetter. Auch dieses sollte in den nächsten Tagen kühl und nass werden. Daraufhin schaltete der Igel das Radio aus. „Waren das die Neuigkeiten aus der Welt!?“, fragte die Elfe entgeistert. „Gibt es denn gar nichts Schönes und Erfreuliches zu berichten!? Kein Wunder, dass du traurig und niedergeschlagen bist und keinen Schlaf findest!“

Das Frühstück, das sich der Igel zubereitet hatte, stand unangetastet auf dem Tisch. Offensichtlich war ihm aufgrund der schlechten Neuigkeiten der Appetit vergangen. Auch die fröhliche und unbeschwerte Stimmung der Elfe war verflogen … Dennoch wollte sie ihren Freund etwas aufheitern und packte ihre mitgebrachten Sachen aus dem Korb. Aber weder die Erdbeeren noch die Pilze vermochten seinen Trübsinn etwas zu verscheuchen …  Die kleine Elfe war sehr ratlos. Wie konnte sie ihren Freund auf andere Gedanken bringen? Sie wusste um das Leid der Welt da draußen. Dennoch glaubte sie, dass gewisse Dinge einfach schlecht geredet und viel Angstmacherei betrieben wurden. Manchmal würde es schon reichen, wenn ein paar der Erdenbürger umdenken würden. Oft zeigte eine kleine Handlung oder liebevolle Geste für sein Gegenüber eine große Wirkung. Ihr war klar, dass mit diesen Kleinigkeiten nicht der große Erdrutsch geschehen würde, aber es war zumindest einmal ein Anfang. Und vielleicht ließen sich davon andere anstecken und blieben nicht untätig und abwartend sitzen. Oft wurde die kleine Elfe deshalb etwas hämisch als Weltverbesserer und Idealist bezeichnet. Aber das störte sie nicht. Wie weit wäre unsere Welt, wenn nur Angsthasen und Pessimisten diese regieren würden …? Aber wie konnte sie ihrem Freund wieder ein Lächeln auf die Lippen zaubern und ihm helfen, die schönen Seiten und Dinge im Leben zu sehen? Angestrengt dachte sie nach.

Da der Igel ohnehin nicht aussah, als ob er schlafen könnte, schlug sie ihm vor einen Waldspaziergang zu machen. Zuerst war ihr Freund nicht begeistert von dieser Idee, doch dann ließ er sich doch überreden und sie zogen gemeinsam los. Es dauerte nicht lange, da entdeckte die Elfe wieder ein paar Walderdbeeren. Sie pflückte die Erdbeeren erfreut und gab sie dem Igel. Diesem knurrte bereits der Magen und genüsslich aß er sie auf. Wie himmlisch doch diese Früchte schmeckten. Sie fanden ein paar Nüsse, Pilze und auch ein paar Würmer. Was sie nicht an Ort und Stelle essen konnten, packten sie in den Korb der Elfe. Satt und gestärkt machten sie sich wieder auf den Weg.
Einige Zeit später kamen sie an eine Lichtung und entschieden sich dort eine kurze Rast zu machen. Die Elfe streckte ihre Beine von sich und ließ sich die Sonne auf den Bauch scheinen, während sich der Igel ein schattiges Plätzchen unter einem großen Blatt suchte. Beide dösten vor sich hin und frönten dem Nichtstun, bis ein Eichhörnchen vorbeikam. Da es hungrig war, weil es heute noch kein Glück beim Nüsse finden hatte und der Korb der Elfe voll mit Köstlichkeiten war, verschenkten die beiden Freunde diese an das Eichhörnchen. Es war eine Freude ihm zuzusehen, wie es die Nüsse freudig verspeiste. Sie beobachteten einen Schmetterling, der von Blume zu Blume flog und fleißig Nektar sammelte. Weiters lauschten sie dem Hämmern eines Buntspechtes in der Ferne, der eifrig Löcher in eine Baumrinde klopfte auf der Suche nach Insekten. Auf ihrem Heimweg trafen sie noch ein scheues Reh, das mit seinen Jungen unterwegs war. So viel schönes hatte der Igel schon lange nicht mehr gesehen. Oder fehlte ihm vielleicht einfach der Blick dafür?

Als die kleine Elfe und der Igel bei ihrer Unterkunft angekommen waren, war der Igel sehr müde. So suchte er sich ein ruhiges und gemütliches Plätzchen bei seiner Freundin und schlief friedlich und dankbar ein. Und während der Igel schlief, konnte die kleine Elfe sogar ein kleines Lächeln über seine Lippen huschen sehen …

„Mögest du dir die Zeit nehmen,
die stillen Wunder zu feiern,
die in der lauten Welt keine Bewunderer haben.“
(Irischer Segensspruch)

Ich wünsche dir einen Freund, der die Melodie deines Herzens kennt und sie dir vorsingt, wenn du sie vergessen hast und dir die schönen Seiten im Leben zeigt, wenn du den Blick dafür verloren hast.

In Dankbarkeit an meine Familie und Freunde

Cornelia